Auf Madagaskar findet man eine Vielzahl an verschiedenen Volksstämmen und ethnischen Gruppen, die sich über 12 Jahrhunderte aus arabischen, asiatischen, indischen, europäischen und afrikanischen Einwanderern entwickelt haben. Wir erläutern die Geschichte und Lebensweise der wichtigsten Ethnien Madagaskars: Der Merina, Betsileo und Bara.
Ursprache und Ur-Bevölkerung
Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass die madagassiche Urbevölkerung aus dem indonesischen Raum stammt. Auch den Dialekt der Einwohner Borneos findet man heute auf Madagaskar in der einheitlichen landeseigenen Sprache, dem Malagasy, wieder.
Im Laufe der Zeit haben die einzelnen Völkergruppen aber dennoch ihren eigenen Malagasy-Dialekt entwickelt. Da sich die Hauptstadt Antananarivo im Hochland der Insel befindet, entwickelte sich der Merina Dialekt als Hochmadagassisch. Offiziell findet man 18 Hauptethnien mit ihren eigenen kulturellen und religiösen Hintergründen.
Madagaskars Bevölkerungsgruppen im Überblick
Madagaskars Ethien im Hochland
Merina – aus dem Land, wo der Blick keine Grenze kennt
Lebensraum und Aussehen der Merina
Die Gruppe der Merina lebt im madagassischen Hochland um Antananarivo und bildet mit 26% der Bevölkerung den größten und bedeutendsten Stamm. Ihr Erscheinungsbild, die helle Hautfarbe und das meist schwarze Haar, zeigt deutlich die indonesisch-malaiische Abstammung.
3-Schichten-Hierarchie
Ihr soziales System gliedern die Merina in 3 Hauptkasten. Die Adelskaste besteht aus den „Andriana“, den Adeligen. Ihm folgen die sog „Hova“, die Freien, die von der Urbevölkerung, den Vazimba abstammen. Die unterste Schicht gliedert sich in die „Andevo“, (die Besitzlosen), und die „Atsimo“, (die zu gehorchen haben).
Glaube der Merina
Die Merina glauben, wie viele andere Stämme auch, dass die Menschen nach ihrem Tod als „razana“ weiterleben und so richtet sich die Lebensweise vieler Madagassen nach dem Ahnenkult. Das Totenumbettungsfest „Famadihana“ ist ein fester Bestandteil im Leben der Merina. Diese Zeremonie gilt als wichtigstes Ritual im madagassischen Ahnenkult und jeder Familienclan feiert es im eigenen Rhythmus.
Bara – die Hirten
Herkunft und Lebensraum der Bara
Die Bara sind ein eher schwer zugängliches Volk, das seinen Unterhalt hauptsächlich mit Rinder- und Viehzucht verdient. Ihr Siedlungsgebiet befindet sich südlich des Merina- Gebietes um die Hauptorte Ihosy und Betroka. Die Verehrung der Bara für Zebu-Rinder lässt vermuten, dass die Vorfahren der Bara aus Afrika (Bantu) eingewandert sind. Sowohl bei den Bara als auch bei den Bantu gilt Rinderbesitz als Statussymbol.
Brauchtum und Rinderdiebstahl
Die Bara unterteilen sich selbst in Clans, die oft untereinander verfeindet sind. Zur Brautwerbung vertritt der Stamm die Tradition des „Viehdiebstahls“, bei der der Bräutigam ein Rind stehlen muss, um seine Männlichkeit zu beweisen. Als Beweis dienen die Entlassungspapiere aus dem Gefängnis. Je mehr Rinder ein Bräutigam erbeutet, umso mehr steigt er im Ansehen des Brautvaters. Die Sitte des Rinderdiebstahls stößt bei anderen ethnischen Gruppen auf Ablehnung.
Betsileo – die Unbesiegbaren
Herkunft und Aussehen der Betsileo
Wie auch die Bara und Merina sind die Betsileo ein Volksstamm, der im Hochland Madagaskars lebt. Sie sind mit 13% der Bevölkerung die drittgrößte Bevölkerungsgruppe und man erkennt in ihren breiten, flachen Gesichtern klar ihre indonesisch-malaiische Herkunft. Sie leben auf der Südseite des Hochlands um ihre Hauptstadt Fianarantsoa. Noch bis ins 18. Jh. hinein waren die Betsileo im Besitz von vier Königreichen. Später mussten sie sich aber später den Merina unterwerfen.
Lebenserwerb, Holz- und Gräberkunst
Sie gelten als die „Erfinder“ der Terrassenkultur im Reisanbau und bewirtschaften heute noch die bergigen Gegenden vulkanischen Ursprungs. Auch die Betsileo leben den Ahnenkult und betten ihre Toten im Rahmen einer „Famadihana“ um. Ihre Gräber sind unverfehlbar: riesige Familiengräber aus Stein, die mit aus Holz geschnitzten Grabstelen verziert sind. Sie schnitzen Kunst und Gebrauchsgegenstände aus Edelholz und schmücken mit ihrer Schnitzkunst auch ihre Häuser.
Brauchtum und Heiratsgebote
Innerhalb des Stammes ist es verboten, ein Mitglied eines anderen Stammes zu heiraten. So kommt es meist dazu, dass die Ehepartner aus der eigenen Großfamilie stammen. Man nimmt an, dass die im Regenwald lebenden Zafimaniry eine Untergruppe der Betsileo sind. Die Waldbewohner leben abgeschieden und nur schwer erreichbar.
Maromaniry – ein typisches Dorf des Bara-Volkes … blicken Sie hinter madagassische Dorfkulissen!
Madagaskars Ethien im Westen, Osten und weitere kleine Ethnien
Sakalava – Leute der langen Senken
Landbesitz und Ausdehnung der Sakalava
Der Stamm der Sakalava im Westen Madagaskars bestand bis ins 18. Jahrhundert aus eher unbedeutenden Viehzüchtern, eroberte dann aber trotz seiner nur 6% Anteil an der Bevölkerung, den gesamten Südwesten Madagaskars. Heute bedeckt ihr Gebiet ein Viertel der Gesamtfläche der Insel. Ihr Gebiet war früher in zwei Königreiche unterteilt: das „Reich der Sakalava- Menabe“ und „das Reich Sakalava-Boina“.
Aufstieg und Niedergang
Beide Reiche konnten im Laufe der Zeit nach Süden und Norden hin weiter ausgedehnt werden und die Ankunft von arabischen Händlern an der Westküste verhalf ihnen zu Waffen und Luxusgütern. Die Grenzen ihres heutigen Gebietes sind der Indische Ozean im Westen und das Hochland im Osten.
Wie auch die anderen Stämme zogen auch die Sakalava gegen die mächtigen Merina in den Kampf (18. Jahrhundert). Nur durch geschickte Heiratspolitik gelang es dem Merina-König Ramada I, die Sakalava seinem Reich einzuverleiben. Noch bis ins 20. Jahrhundert galt es als Brauch bei den Sakalava, Menschen als Opfergabe zu nutzen.
Bräuche und Rituale
Heute noch werden zwei große Rituale bei den Sakalavas durchgeführt. Im sog „Tromba- Ritual“ versetzen sich die Sakalava in Trance, um mit den Geistern ihrer Verstorbenen zu kommunizieren. Dieses Ritual wird meist zur Heilung von Kranken vollzogen. Ein zweites bekanntes Ritual ist das „Ritual der Blutsbrüderschaft“, bei dem unter Anwesenheit eines „Zauberers“ (Priesters) zwei Männern ein Schnitt durch die Brust gemacht, das Blut vermischt und anschließend getrunken wird. Den typischen Brauch der „Totenumbettung“ findet man bei den Sakalava allerdings nicht.
Betsimisaraka – die Unzertrennlichen
Lebenserwerb und Namensbedeutung
Den Stamm der Betsimisaraka findet man an der Ostküste von Madagaskar. Ihr Gebiet wird im Westen durch den Regenwald begrenzt. Die Betsimisaraka sind afrikanischer Abstammung und bauen vorwiegend Reis, Tabak, Nelken, Kaffee, Vanille und Zucker an. Unter Ratsimilao wurden viele verschiedene Gruppen vereint, die sich dann im Krieg gegen die Merina gegenseitig unterstützten und somit entstand der Name und ein gemeinsames Volk Betsimisaraka: „die vielen, die sich nicht trennen lassen“.
Aberglaube und Seemänner
Unter ihnen befinden sich gute Seemänner, die bereits im Mittelalter Expeditionen zu anderen Inseln unternommen haben. Dies brachte sie in enge Verbindungen zu Seeräubern; ihr Name stammt vom Sohn eines englischen Seeräubers, dem König Ratsimilao, ab. Durch die enge Verbindung zum Meer gehört vor allem Fisch zu ihren Hauptnahrungsmitteln. Die Betsimiraka sind ein sehr abergläubisches Volk, die vor allem an „Waldgeister“, „Meerjungfrauen“ und „wilde Waldbewohner“ glauben.
Sihanaka – die in die Sümpfe marschierten
Legende und Lebensraum der Sihanaka
Das Volk der Sihanaka stammt ursprünglich von den Antaisaka ab und besiedelte die nordöstliche Gegend rund um den Alaotra-See. Ihr Gebiet erstreckt sich bis zur Quelle des Mangoro-Flusses. Ihre Hauptstadt ist Ambadronbazaka, was „unter dem Stein der Razaka“ bedeutet. Eine Legende besagt, dass einst der König Andriambololona eine Schlacht gegen die Vazimba gewann und zum Andenken daran einen Stein am Südwestufer des Sees aufstellen ließ. Diesen Stein benannte er nach seiner Tochter Razaka.
Lebenserwerb, Glaube und Sozialstruktur
Ähnlich den Merinas leben die Sihanaka heute noch vom Fischfang und der Geflügelzucht. Die sumpfige Gegend rund um den See nutzt das Volk zusätzlich zum Reisanbau. Mehr als andere Stämme glauben die Sihanaka an Wunderheiler, Zauberer, Hexer und sog. Fadys. (Dies sind Gebote und Tabus, die in jedem Fall einzuhalten sind. Sie dienen dazu, den Groll der Ahnen nicht zu wecken.) Da die Sihanaka weit ab von der Zivilisation leben, bleibt ihre Sozialstruktur weitestgehend unberührt. In ihrem Brauch werden die Gräber der Vorfahren mit ca. 10m hohen Holzstelen verziert.
Antankarana – die der Felsen
Herkunft und Glaube
Der Stamm der Antankarana, ein Hirtenvolk, findet man ganz im Norden Madagaskars. Ihr Reich erstreckt sich von Antsiranana bis Tetezamboto. Auch die westlich gelegene Insel Nosy Mitsio liegt im Reich der Antankarana. 98% sind muslemischer Herkunft und glauben an die Wiedergeburt des Menschen in Gestalt eines Krokodils oder als Lemur. In ihrer Kultur ist es somit streng verboten, diese Tiere zu töten oder das Wasser des Sacre-Sees zu verunreinigen.
Oberhaupt
Ihr Oberhaupt ist der entthronte König Alexandre Issa Tsimanaboholahy, genannt „Prinz Tsimiharo III.“ , der in der Gegend um Ambilobe seinen Sitz hat. Obwohl der Prinz politisch keine Macht besitzt, folgen ihm die Antanakarana einstimmig und er wird von ihnen weiterhin wie ein König geachtet.
Besuch im Dorfreservat bei Ankazomivady … intensiver Einblick ins Leben der Einheimischen!